Die Arbeitswelt befindet sich in einem stetigen Veränderungsprozess. Faktoren wie Globalisierung, Digitalisierung, demografische Entwicklung u.v.m. spielen hierbei eine Rolle. Allein durch die Corona-Pandemie wurde die Digitalisierung in den meisten Unternehmen zwangsläufig vorangetrieben. Aber welche Auswirkung hat die Digitalisierung auf die Arbeitsprozesse und die Mitarbeiter:innenführung?

In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, welchen Einfluss die Digitalisierung auf die Machtverhältnisse zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:innen hat und was das für das Führungsverhalten der Unternehmensleitung und weiterer Führungskräfte bedeutet.

Digitalisierung: mehr als nur Technikeinführung

Für die meisten Menschen bedeutet die Digitalisierung nicht nur, dass sie neue Technologien kennenlernen und in ihren Alltag integrieren, vielmehr hat sie einen wesentlichen Einfluss auf die grundlegenden sozialen Prozesse im Privat- und Arbeitsleben und im gesellschaftlichen Zusammenleben.

Die Digitalisierung in Unternehmen bringt Änderungen der Kommunikationswege und damit der Entscheidungskompetenzen mit sich. Dadurch hat sie auch einen erheblichen Einfluss auf die Unternehmen und deren soziales System.

Digitale Technologien können das bestehende Führungssystem unterstützen, untergraben oder sogar vollständig blockieren. Um die Herausforderungen in Chancen zu wandeln müssen Führungskräfte folglich nicht nur ein Verständnis für die technische Funktionsweise digitaler Technologien entwickeln, sondern sich auch der sozialen und kulturellen Wirkweise bewusst sein und sich entsprechend auf den Veränderungsprozess bei den Mitarbeiter:innen und Geschäftspartner:innen einstellen.

 

Inwieweit ändern sich diese Machtgrundlagen in der digitalisierten Arbeitswelt?

Traditionelle Führungskonzepte basieren auf der Differenzierung, d. h. auf klaren hierarchischen Grenzen zwischen Führungskraft und Mitarbeiter:innen und der Dominanz der Führungskraft. So waren Vorgesetzte in der Vergangenheit überlegen, weil sie ihre Kenntnisse und Absichten geheim hielten. Insbesondere mittlere Führungskräfte waren es gewohnt, als Hauptkanal für den Informationsfluss in ihre Bereiche hinein, aber vor allem aus ihnen heraus zu agieren.

Die u.a. mit der Digitalisierung einhergehenden veränderten Arbeitsbedingungen untergraben jedoch diese traditionellen Konzepte. Die Schnelligkeit, mit der sich Rahmenbedingungen verändern, kreiert eine Atmosphäre der fehlenden Stabilität und Ungewissheit. Einfache Ursache-Wirkungszusammenhänge finden sich nur noch selten, stattdessen gestalten sich die Wirtschaftskreisläufe immer komplexer. Auch die zahl- und variantenreichen Kollaborationsmöglichkeiten und Kommunikationsmedien weisen eine höhere Komplexität auf. Folglich eröffnen sich den Unternehmen vielfältige und mehrdeutige Szenarien für die Bewerkstelligung von Problemstellungen.

Um nicht vom Markt verdrängt zu werden, sind Unternehmen darauf angewiesen, ihre Geschäftsmodelle zu hinterfragen und interaktive, wertschöpfende Netzwerke zu bilden. Dies gelingt aber nur, indem Unternehmensgrenzen geöffnet, transparente Kommunikation sowohl nach innen als auch nach außen zugelassen und Kooperationen erschlossen werden. Geschieht dies nicht, so sind die Verlagerung der Produkt-, Dienstleitungs-, Preis- und Kommunikationshoheit von Unternehmen auf Wettbewerber:innen, Kooperationspartner:innen, Konsument:innen und auch Mitarbeiter:innen und somit ein Autoritätsverlust die Folge.

Die fortschreitende Digitalisierung ist somit Chance und Herausforderung zugleich. Wenn sie ein Erfolg werden soll, dann ist die neue Rolle der Unternehmensführung und somit der Führungskräfte als Dreh- und Angelpunkt von Veränderungen zu beleuchten.

 

Was tun als Führungskraft?

Kompetente Führungskräfte müssen sich mit der Reduzierung ihres Einflusses auseinandersetzen und ihre Kommunikation an die Digitalisierungsprozesse des Unternehmens anpassen, um der VUCA(Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity)-Welt gerecht zu werden.

In der VUCA-Welt wird es immer unwahrscheinlicher, dass eine Führungskraft die Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzt, komplexe Probleme allein zu verstehen und zu lösen. Folglich sinkt das Machtpotential, das sich aus der Expertenstellung der Führungskraft ergibt. Big Data unterstützt Führungskräfte, ihre Informationsmacht auszubauen. Gleichzeitig sinkt der potenzielle Einfluss der Führungskräfte aufgrund der Verlagerung der Produkt-, Dienstleitungs-, Preis- und Kommunikationshoheit u. a. auf Mitarbeiter:innen. Hierarchie- und funktionsübergreifende Kooperationen nehmen zu mit der Folge, dass vorhandene Grenzen zwischen Hierarchien und Funktionen verschwimmen und somit die sich aus der Position der Führungskraft ergebende Machtgrundlage schwindet.

Eine nicht von der Digitalisierung in Frage gestellte Einflussmöglichkeit bleibt den Führungskräften jedoch: das Identifikationspotenzial, d.h. die Möglichkeit, Mitarbeiter:innen durch wertschätzendes, motivierendes Verhalten zu führen.

Um den in der digitalisierten Arbeitswelt notwendigen neuen organisationalen Konzepten sowie den Machtverschiebungen zwischen Führungskräften und Mitarbeiter:innen Rechnung zu tragen, wurden somit neue an Mitarbeiter:innen orientierte Führungsansätze entwickelt. So wechseln sich im Konzept der „geteilten Führung“ die Führungskraft und die Mitarbeiter:innen je nach Situation ab und im Modell der „dienenden Führung“ stehen die ethische und moralische Verantwortung der Führungskraft und die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter:innen durch die Führungskraft im Fokus.

Für welches Mitarbeiter:innen-orientierte Führungskonzept sich das Unternehmen oder die einzelne Führungskraft entscheidet: ein Führungssystem ist dann erfolgreich, wenn es der digitalen Transformation mit einer ausbalancierten Kombination aus digitaler Strategie, Kultur und Führung begegnet.

 

Fazit

Unternehmen müssen sich bewusst machen, dass die Einführung digitaler Technologien nicht nur mit der Auswahl und der Implementierung der Technologien und der Überarbeitung der Prozesse einhergeht, sondern dass die Nutzung der Technologien Auswirkungen auf das soziale Gefüge, die Kultur im Unternehmen und das Führungsverhalten hat.

Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen, deren Grad der Digitalisierung ausbaufähig ist und die tendenziell sachorientiert führen, müssen sich bewusst machen, dass sich das Machtgefüge zwischen Führungskräften und Mitarbeiter:innen im Zuge der Digitalisierung wandelt. Der reduzierte Einfluss der Führungskräfte und die annähernde Balance im Machtgefüge zwischen Führungskräften und Mitarbeiter:innen führt zu einem Miteinander auf Augenhöhe. Unternehmen müssen ihr Führungsverhalten überdenken und auf die neuen Gegebenheiten anpassen, um weiterhin zielorientiert und erfolgreich zu führen.

Mein Tipp: Wichtig ist, dass es nicht das eine optimale Führungsverhalten gibt. Das Führungsverhalten muss zur Unternehmenskultur und zur aktuellen Situation passen. Und: die Führungskraft muss ihre Rolle finden und sich in dieser wohlfühlen – nur dann ist die Führungskraft authentisch und dazu in der Lage, auf die Mitarbeiter:innen einzugehen und Mitarbeiter:innen-orientiert zu führen – und das ist eine wichtige Grundlage für eine positive Unternehmenskultur und ein erfolgreiches Unternehmen.

Über die Autorin:

Meike Jungbluth ist Geschäftsführerin der Roskopf Unternehmensgruppe, einem mittelständischen Unternehmen, das seit mehr als 60 Jahren unabhängiger und verlässlicher Partner der Industrie sowie OEM für maßgeschneiderte Fördertechnik, Probenahme-Technologien und Systemlösungen ist. Meike Jungbluth ist Betriebswirtin und hat vor ein paar Jahren einen Master in Wirtschaftspsychologie absolviert, um sich als Führungskraft weiterzuentwickeln.

Bildquelle Beitragsbild: © EtiAmmos /stock.adobe.com

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