Gamification – Motivation pur oder reiner Zeitvertreib?

Gamification soll psychologische Grundbedürfnisse von Mitarbeiter:innen und Kund:innen erfüllen, die Ausführung von Arbeitsprozessen erleichtern, produktiver gestalten sowie den Corporate Purpose und die Teammotivation erhöhen. Klingt nach dem heiligen Gral jedes Unternehmens, doch wo ist der Haken?! Gamification (Spielifizierung) scheint ein Megatrend der New-Work-Ära zu sein. Der Begriff wurde im Jahre 1978 durch den britischen Computerspielexperten Richard Bartle geprägt. Die Idee der Gamification wird jedoch erst seit 2012 ernsthaft umgesetzt. Was steckt hinter diesem Begriff und welchen Impact hat Gamification auf unseren beruflichen Kontext?

Sinngemäß steht Gamification für den Einsatz von spielerischen Elementen außerhalb von Spielen bzw. in nicht spielerischen Situationen. Spielen ist eine Tätigkeit, die ohne bewussten Zweck zum Vergnügen, zur Entspannung, aus Freude an ihr selbst und an ihrem Resultat ausgeübt wird.

Keine Spezies spielt so intensiv wie der Mensch. Es ist ein angeborenes Sozialverhalten, welches sich durch mehrere Faktoren auszeichnet. Der natürliche Spieltrieb unterstützt das Lernen durch Versuch und Irrtum (trial and error), fördert die Gewinnung von Kenntnissen, den Ausbau von Fähigkeiten und treibt die persönliche Entwicklung des Menschen auf vielfältige Weise an.

Lernen nur Kinder spielerisch oder auch Erwachsene?

Kinder stellen sich innerhalb der ersten sechs Lebensjahre zwischen sieben und acht Stunden am Tag spielerisch neuen Herausforderungen, steigern ihr Selbstbewusstsein und Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten. Erwachsene verlieren häufig im Laufe ihres Lebens ihre Freiheit zum Spielen und sind es gewohnt, zu funktionieren bzw. private wie berufliche Aufgaben nur zu erledigen.

Aktuelle Studienergebnisse belegen, dass Spiele nicht nur Fähigkeiten und Fertigkeiten aus der Kindheit auffrischen, sondern dass komplett neues Kompetenz-Potenzial entfaltet werden kann. Das Gehirn läuft nämlich beim Spielen zur Hochform auf. Dabei fördert es neuartige Vernetzungen der Hirnzellen, bringt die kreative Denkweise in Schwung, sorgt für nachhaltige Wissensspeicherung und wirkt sowohl befreiend als auch entspannend. Es ist also naheliegend, diese Vorteile von Gamification nicht nur im privaten, sondern auch im beruflichen Bereich zu nutzen.

Im Business-Kontext existieren unterschiedliche Spielearten. Zum einen können spielerische Elemente im Konsumentenbereich, in der Industrie, Medizin, in innerbetrieblichen Kommunikations- und Arbeitsprozessen sowie in der Weiterbildung von Mitarbeiter:innen eingesetzt werden. Häufig fallen dabei Begriffe wie Serious Games, Edutainment oder auch game-based-Learning. Der Unterschied zum privaten Spielen liegt im Ziel des Spielens, denn im beruflichen Kontext dient das Spielen einem bewussten Zweck.

 

Moderne Klassiker der analogen Weiterbildungslandschaft

Aus der Sicht des spielerischen Lernens kann der Begriff Edutainment (Education + Entertainment) in klassische und digitale Lernspiele unterteilt werden. Zu den Klassikern gehören vor allem Abfragespiele, spielerisch gestaltete Gruppenarbeiten, Rollenspiele und analoge Planspiele.

Die meisten Anwendungsbeispiele von klassischen Lernspielen finden sich in der beruflichen Erwachsenenbildung wieder. Abfragespiele werden genutzt, um nach Pausen oder zu Beginn einer neuen Lerneinheit das Wissen der Teilnehmer:innen aufzufrischen. Dies kann in einer offenen Frage-Antwort-Runde stattfinden oder in zwei Teams, die gegeneinander spielen. Altbekannte TV-Formate wie Jeopardy, Familien-Duell oder Glücksrad können als Inspiration dienen.

Spielerisch gestaltete Gruppenarbeiten häufen sich ebenfalls in Weiterbildungsformaten. Ob das NASA-Spiel für Entscheidungsfindungsprozesse, die soziometrische Aufstellung zum Kennenlernen oder Legosteine zur Visualisierung von Arbeitsprozessen und Strategien; die Kreativität kennt keine Grenzen. Planspiele zur Aneignung und Vertiefung komplexer Zusammenhänge im Management oder Rollenspiele zur Simulation von Verkaufsgesprächen haben sich ebenfalls in den letzten Jahren fest in der spielerischen Weiterbildungslandschaft verankert.

 

Gamification als Tool zur Kompetenzförderung im Vertrieb

Speziell im Vertrieb werden spielerische Elemente genutzt, um die extrinsische Motivation zur Umsatzerreichung zu erhöhen. Kürzlich wurde das Potenzial erkannt, auch mentale Blockaden der Vertriebsakteure:innen spielerisch zu lösen, Kommunikationsstrategien beim Pitchen, in der Telefonakquise oder beim Kundengespräch zu verinnerlichen sowie die persönliche Komfortzone mit Spaß zu erweitern. Die goldene Regel dabei lautet: „Übung macht den Meister.“ Bislang existieren erst wenige Modelle, welche die Unternehmen dazu befähigen, eigenständig vertriebliche Trainingsspiele zu nutzen. Im Vergleich zu regionalen Playern und Startups, haben Global Player das spielerische Lernpotenzial im Vertrieb bereits erkannt und setzen vermehrt Computerspiele zur Wissensvermittlung und Brettspiele zur Kompetenzförderung ein.

 

Digitaler Boom mit Stolpersteinen

Digitale Lernspiele erleben in jüngster Vergangenheit ein besonderes Hoch. Nahezu alle E-Learnings und Online-Kurse sind mit Abfragespielen zur Lernsicherung ausgestattet. Computer-Simulationen in Kombination mit AR- oder VR-Technologie werden zur Ausbildung von Pilot:innen, Notfallsanitäter:innen, Fachexpert:innen im Handwerk und Manager:innen eingesetzt. Zusätzlich werden vermehrt Serious Games genutzt, um Schüler:innen bei der Wahl ihres Berufes zu unterstützen, die Wahrnehmung der Menschen bezüglich ihrer Umwelt nachhaltig zu verändern oder auch Verhaltensweisen in unterschiedlichen Unternehmenssituationen zu vermitteln.

Doch das spielerische Lernen birgt auch Gefahren. Die Akzeptanz durch das Management oder die Mitarbeiter:innen ist nicht in jeder Branche und in jedem Unternehmen gegeben. Bei digitalen Spielen können die Aktivitäten gläsern erfasst und dargestellt werden. Personen halten sich nicht an die Spielregeln und schummeln im gamifizierten System, um bessere Belohnungen zu erhalten. Positive Effekte können auch wegen dem falschen Einsatz von spielerischen Elementen und dem Nicht-Wissen von Spielpersönlichkeiten ausbleiben.

 

Der spielerische Flow als mächtiges Werkzeug

Die Erfolgsfaktoren von Gamification liegen darin, intrinsische Motivationen zu erzeugen, echte Herausforderungen zu schaffen und Mehrwerte für die Spieler:innen zu kreieren. Der mächtigste Zustand für die besten Lern- und Aktivitätenergebnisse liegt im spielerischen Flow, ein Zustand, in dem keine Unterforderung oder Langweile, keine Überforderung oder Angst existiert.

Im Flow steigert spielerisches Agieren die mentale Bereitschaft, monotone, unbeliebte oder komplexe Aufgaben mit Spaß zu erledigen. Zusätzlich will man sein eingesetztes Investment, ob Zeit, Geduld oder Fleiß, wieder zurückgewinnen. Am spannendsten ist die Änderung der Selbstwahrnehmung im Flow, was die Fortsetzung des Spielens fördert.

Gamification ist daher ein facettenreiches Werkzeug, welches fest in unserer menschlichen DNA verankert ist. Meine persönliche Meinung: Spielen kann reiner Zeitvertreib sein und das ist auch gut so. Gamification kann Motivation pur sein und vieles mehr!

Über den Autor:

Dipl.-Kaufmann Bilgehan Karataş ist Gründer von SALEVIUM und Autor der gleichnamigen Trainingsspiele. Sowohl als Trainer für mittelständische Unternehmen als auch als Coach für Startups setzt er zur Erhöhung der Teammotivation und Steigerung der Lerneffekte stets spielerische Elemente in seinen Workshops ein.

 

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