Digitalisierung gilt für viele Manager:innen anscheinend als Wunderwaffe schlechthin. Doch je mehr der Begriff Digitalisierung zum Hype verkommt, desto größeren Schaden kann er anrichten – für Menschen und Unternehmen.
Seit Beginn der Industrialisierung zielt die die Optimierung von Produktionsprozessen vor allem darauf ab, die Effizienz zu steigern. Der gerne verwendete Vergleich mit der Natur als leuchtendem Vorbild für Arbeitsteilung anhand von fleißigen Ameisen und Bienen hinkt jedoch gewaltig: Natur ist nicht effizient, sondern schöpft aus dem Vollen. Das verdeutlichen neben doppelt angelegten Organen auch die Nahrungskreisläufe, in denen Millionen von Lebewesen ihr Leben lassen.
Statt Häuser für die Ewigkeit zu bauen, verwenden wir Menschen gerade noch so viel Material, dass die Gebäude nicht innerhalb von 50 Jahren zusammenfallen. Geräte bauen wir so, dass sie noch eben ihre wirtschaftlich erwartete Lebensdauer erreichen. Und in vielen beruflichen Bereichen haben wir ein fein abgestuftes Spezialist:innentum entwickelt, wie die Vielfalt der Fachrichtungen für Ärzt:innen, IT-Expert:innen oder Steuerberater:innen zeigt – im Gegensatz zu den Berufen Müller:in, Bäcker:in oder Hufschmied:in.
In den letzten Jahrzehnten haben wir fast jede neue Technologie mit dem Ziel verwendet, unsere Welt und unsere Geschäftsprozesse noch ein wenig effizienter zu machen. Genau diesen Anspruch verfolgen die meisten Manager:innen mit dem Einsatz von Digitalisierung: sie wollen einen Prozess nochmal zehn oder zwanzig Prozent effizienter gestalten.
Dabei wird effizienter zum Synonym dafür, sich zunehmend abhängiger zu machen: von einem weiteren Lieferanten, einem weiteren Rohstoff aus einem fernen Land, oder von einem weiteren Vorprodukt aus einer weiteren, noch komplexeren Lieferkette.
Besinnt man sich auf die Hauptstärke von Digitalisierung, die Vernetzung, kann diese ihren ganzen Zauber entfalten:
Produktionsmaschinen kann man weltweit verteilt resilient aufstellen und vernetzen. Innerhalb dieses Netzes stehen sämtlichen Maschinen überall auf der Welt alle Erfahrungen und Erkenntnisse zur Verfügung. So kann man einen länderübergreifenden Feedback-Zyklus aufbauen, der auf einem einzigen, konsistenten Release-Herzschlag basiert. Wesentlich an diesem Ansatz ist, dass man nicht über drei oder sieben Standorte nachdenkt, sondern über viele kleine neuen Produktionseinheiten, so dass es in Summe hunderte oder tausende sind.
Ein solches Vorgehen widerspricht vielleicht den klassischen Economies of Scale; stattdessen bietet es eine Menge neuer Möglichkeiten: Der Output des gesamten Maschinenparks ist absolut unabhängig von einem einzelnen Produktionsstandort und sorgt damit für Resilienz.
Diese Herangehensweise bedeutet auch ein Abwenden vom üblichen Ansatz, bei dem Chef-Einkäufer:innen einen weltweiten Liefervertrag für alle Vorprodukte abschließen. Stattdessen wird auf Varianz bei den sorgfältig ausgewählten Lieferanten gesetzt.
Das kann die Zuverlässigkeit der Lieferkette massiv erhöhen, und führt zu einer anderen Art der Zusammenarbeit als die Absicherung der externen Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten durch Service Level Agreemnts (SLAs) und Pönalen (Vertragsstrafen).
Digitale Technologie bekommt in diesem Szenario eine Schlüsselrolle, da sie die Produktionsmaschinen weltweit nach dem gleichen Algorithmus steuert und Feedback aus allen Erfahrungen in den Prozess aller Maschinen einfließen lässt. So kann das Ziel erreicht werden, weltweit eine absolut konstante Qualität zu liefern.
Die Qualität des Outputs hängt massiv von der Qualität des Inputs ab, werden Kritiker:innen nun einwenden. Das ist korrekt. Doch heute ist es Standard, dass Erfahrungen mit einem Vorprodukt nur in den Qualitäts-Regel-Kreislauf eines einzigen Produktionsortes eingehen. Dort werden sie in der Regel durch die Erfahrung eines oder weniger Mitarbeiter:innen optimiert und nicht datengetrieben.
Die wesentliche Verbesserung ist also, die gemachten Erfahrungen weltweit allen Maschinen zur Verfügung zu stellen. Und es ist wesentlich, Lieferantenqualität nicht mehr als Zusicherung einer definierten Eigenschaft, als Input für einen starren Prozess zu verstehen. Lieferanten-Qualität wird vielmehr zur Beschreibung eines Zustandes, der in integrierter Form als Datensatz dem Nächsten in der Lieferkette bereitgestellt wird.
Dazu gehört als nächster wesentlicher Schritt, dass die jeweiligen Output-Daten kontinuierlich den anderen Ketten-Mitgliedern innerhalb der Supply Chain zur Verfügung gestellt werden.
Das ist also ein ganz anderer Ansatz als die bekannten arbeitsteiligen Prozesse, die auf Optimierung starrer Schnittstellen mit einem hohen Definitionsgrad ausgerichtet sind. Stattdessen geht es um Prozesse, die Erfahrungen optimieren – mittels Feedback-Zyklen, die Qualitätsdaten als Eigenschaften aktiv verarbeiten können.
Mit diesem Konzept verlassen wir das Dogma von Digitalisierung zur Effizienz-Verbesserung und nutzen digitale Technologien, um das Gesamtsystem stabiler und resistenter zu machen und die Resilienz zu erhöhen.
Ein netter Nebeneffekt ist die Stärkung der Produktion lokal vor Ort und damit auch das Vermeiden von Protektionismus. Anstelle der Waren mit ihren angeblich hocheffizienten, auf Economies of Scale getrimmten Prozessen schicken wir nun die Daten weltweit um den Globus.
Damit wird auch ein möglicher Kritikpunkt deutlich: Die Idee basiert auf hochintegrierten verbundenen Produktionsprozessen in einer vernetzten Welt. Statt von Warenströmen und Warenlogistik ist das System jetzt von Netzwerken und der Datenlogistik abhängig. Die wesentlichen Abhängigkeiten werden also in die digitale Welt verschoben.
Dennoch sind diese Geschäftsprozesse auf der physischen Ebene wesentlich resilienter gegen Störungen als die heutige Warenlogistik, die letztlich nur über Zwischenlagerkonzepte funktioniert.
Und dieses Konzept bietet eine weitere interessante Perspektive: Mit unseren vielen mittelständischen Maschinenbau-Unternehmen sind wir in Deutschland für diese Art von digitalen integrierten Prozessketten gut aufgestellt. Nutzen wir sie!
Stefan Fritz ist Partner bei Primepulse und Impact Investor mit Schwerpunkt DeepTech im B2B-Bereich. Auf seinem Blog stefanfritz.de beschäftigt er sich mit digitalen as-a-Service- und Plattform-Geschäftsmodellen und den Möglichkeiten von Impact Investing als Rahmen für nachhaltiges Unternehmertum.