Facilitation: Eine Fähigkeit für den modernen Arbeitsplatz

Das Akronym VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity and Ambiguity) entstand in den 1990er Jahren im Umfeld der US Army und beschrieb die zunehmende Komplexität der multilateralen Welt. Vereinfacht kann man die Bedeutung des Ausdrucks mit „It’s getting crazy!“ zusammenfassen.

Unternehmen stehen heute vor einer ganz ähnlichen Situation: Die technologischen Fortschritte der letzten Jahre haben ganze Branchen auf den Kopf gestellt und in rasantem Tempo Veränderungen hervorgerufen. Unternehmen und Institutionen sehen sich durch die digitale Transformation in einer Umgebung, in der die Logik von Ursache und Wirkung nicht mehr funktioniert und die Frage nach dem Sinn immer häufiger gestellt wird. Covid-19 hat diese Situation verstärkt und die schon zuvor bestehenden Herausforderungen deutlicher in den Fokus gerückt. Um die Herausforderungen zu meistern, müssen Unternehmen Innovationen und Veränderungen in Gang setzen. Die gute Nachricht ist: Unternehmen müssen diesen schwierigen Weg nicht allein gehen, sondern können sich von einem Facilitator unterstützen lassen.

Die Aufgabe des Facilitators ist es, es einer Gruppe leichter zu machen (lateinisch: facilis= leicht/mühelos), ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ausgestattet mit der Fähigkeit, in Teams durch bestimmte Methoden einen Konsens herbeizuführen, kann der Facilitator im Rahmen von Workshops Unternehmen helfen, Veränderungen zu navigieren.

Lassen Sie uns der Sache auf den Grund gehen. Doch zunächst müssen wir uns die Herausforderungen, mit denen sich Unternehmen heute konfrontiert sehen, anschauen:

1. Die Herausforderung der Diversität

Überall auf der Welt sehen wir einen Trend zur Spezialisierung. Arbeit, die früher von einer Person geleistet wurde, wird nun in kleinere Einheiten aufgeteilt. Einige davon werden ausgelagert (z.B. Entwicklung) oder von Experten auf dem Gebiet ausgeführt.

Gleichzeitig wird die Welt zunehmend stärker vernetzt. Wir sind immer und überall online und kommunizieren über große Entfernungen miteinander. Es ist nicht überraschend, dass der Arbeitsplatz diesen Trend widerspiegelt und zu einem Ort wird, an dem Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen, Erfahrungen und Perspektiven zusammenkommen, um zusammenzuarbeiten.

„Companies that embrace diversity and inclusion in all aspects of their business statistically outperform their peers.“ Josh Bersin

Infolgedessen wird der Arbeitsplatz immer verteilter und vielfältiger. Und das ist eine großartige Sache. Diversität ist ein bedeutender Vorteil für Organisationen. Durch sie erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass neue Ansätze und kreative Lösungen gefunden werden. Diversität wirkt sich direkt auf die Innovationsfähigkeit aus. Allerdings bringt sie auch zwei neue Herausforderungen mit sich:

Erstens sind in einem Raum voller Experten und unterschiedlicher Kulturen Meinungsverschiedenheiten vorprogrammiert. Zweitens muss die Organisation ein Umfeld schaffen, das Diversität unterstützt und das Potenzial der Diversität entfalten kann.

Wie trägt der Facilitator dazu bei diese Hürden zu überwinden? Der Facilitator ist ein Meister des Balanceaktes. Er kann das volle Potenzial der Diversität ausschöpfen, indem er den effektivsten und effizientesten Weg findet, als Gruppe zusammenzuarbeiten. Das bedeutet, allen die gleiche Stimme zu geben und aktiv verschiedene Sichtweisen zu synthetisieren. Gleichzeitig kann der Facilitator nach Quellen von Konflikten Ausschau halten und dem Team helfen, sicher damit umzugehen.

2. Die Herausforderung der Zusammenarbeit

Denken Sie eine Sekunde lang an die berühmtesten Wissenschaftler:innen unserer Vergangenheit. Wer kommt Ihnen in den Sinn? Albert Einstein? Marie Curie, oder vielleicht Nikolas Tesla? Sie haben alle eins gemeinsam, nämlich, dass wir oft denken, sie hätten ganz allein ihren Durchbruch geschafft.

Dieses Phänomen wird als der Mythos des einsamen Genies bezeichnet. Häufig wird vergessen, dass die Wissenschaft das Werk von vielen ist. Sie wird von einer Kultur des Teilens, der öffentlichen Debatte und der Innovation durch Kritik und offenes Feedback angetrieben. Nur durch Zusammenarbeit kann sie aufblühen.

Zusammenarbeit ist der Schlüssel zur Innovation

Unsere Fähigkeit zur Zusammenarbeit ist der Grundstein für unseren Erfolg auf diesem Planeten. Weil wir zusammenarbeiten und Wissen teilen, sind wir in der Lage, von jeder Entdeckung, die um uns herum gemacht wird, zu profitieren. Unternehmen wie Apple und Google wissen das und schaffen ganze Campusse, auf denen Mitarbeiter:innen gemeinsam arbeiten, essen, lernen und Sport treiben. Dadurch erhöht sich die Chance, dass sie Erkenntnisse untereinander austauschen und eng zusammenarbeiten.

Doch Zusammenarbeit kann aber auch nach hinten losgehen. Sie kostet Zeit und Energie, und zu viel davon kann zu einem Zustand der Überlastung durch Zusammenarbeit (engl. „collaboration overload„) führen. In diesem Zustand springen alle Mitarbeiter:innen von Meeting zu Meeting und haben keine Zeit für tiefgreifende Arbeit, für wichtige Entscheidungen und keine Zeit zum Nachdenken.

Der Facilitator hat die nötige Kompetenz, damit umzugehen. Er kann Meetings mit offenem Ende in fokussierte Workshops verwandeln und so die gesamte Energie des Teams auf die wichtigsten Herausforderungen konzentrieren. Das spart dem Team Zeit, während es wahrscheinlich die gleichen und oder sogar bessere Ergebnisse erzielt.

Untersuchungen zeigen, dass 81% der Menschen glauben, dass die Zusammenarbeit entscheidend ist, während 71% der Führungskräfte die Zusammenarbeit zur Priorität machen. Aber je mehr wir zusammenarbeiten, desto wichtiger wird es, jemanden an Bord zu haben, der die Qualität der Zusammenarbeit genau unter die Lupe nimmt. Nicht nur die Quantität.

3. Die Herausforderung des Mindsets

Das A in VUCA steht für Ambiguität und bezieht sich auf den Mangel an Klarheit, mit dem wir heute konfrontiert sind. Nehmen wir zum Beispiel die COVID-19-Krise. Wissen Sie haargenau, wie gefährlich es ist, mit oder ohne Maske einkaufen zu gehen? Oder wie die Wirtschaft in den kommenden Monaten beeinflusst wird? Klare Antworten sind schwer zu finden, denn der Grad der Komplexität dieser Fragestellungen ist immens.

Was wir wissen ist, dass die heutigen Herausforderungen nicht mit den Methoden von gestern gelöst werden können. Aber gerade, wenn die Situation hitzig ist, klammern wir uns oft an die alten Methoden und halten uns an das, was wir für die sicherste Lösung halten.

Was wir aber in Wirklichkeit brauchen, ist eine Denkweise des Experimentierens. Wenn wir nicht in der Lage sind, Vorhersagen über die Zukunft zu treffen, dann müssen wir verschiedene Optionen testen und sehen, was am besten funktioniert. Startups sind darin besonders gut, und das ist ein Grund dafür, dass sie dort erfolgreich sind, wo große Unternehmen oft scheitern. Auch wenn letztere viel mehr Personal und Ressourcen haben.

Auch hier ist der Facilitator für die moderne Organisation von immensem Wert. Er kann eine Gruppe bewusst mit neuen Denkweisen konfrontieren und ihr helfen, alte Muster loszulassen. Dazu kann er Übungen einsetzen, die Menschen durch eine Lernerfahrung bewegen und Aha-Momente schaffen. Denn sobald Menschen eine neue Erfahrung machen, ändern sie oft auch ihre Überzeugungen und Ansichten.

Wir wissen das aus eigener Erfahrung. In vielen unserer Workshops und Sprints bringen wir die Teilnehmer:innen vorsichtig in ein Umfeld des Unbequemen.

Hier ein Beispiel: Nach einem Brainstorming mit den Teilnehmer:innen bitten wir sie oft, ihre beste Idee zu nehmen und sie innerhalb von 20 Minuten zu skizzieren. 20 Minuten reichen oft nicht aus, um eine Skizze zu erstellen, die perfekt ist. Aber sie reichen aus, die Idee in der Gruppe zu präsentieren und zu diskutieren, ohne sechs Stunden damit zu verbringen, eine glänzende PowerPoint-Präsentation vorzubereiten.

Wenn die Teilnehmer:innen einmal eine solche Erfahrung gemacht haben, werden sie oft den Wert dieser Erfahrung für sich selbst erkennen. Das hilft ihnen, alte Verhaltensmuster loszulassen und eine neue Denkweise zu entwickeln.

Fazit

Organisationen, Teams und Einzelpersonen können erfolgreich sein, wenn sie in der Lage sind, sich in sich ständig weiterentwickelnden Umgebungen zurechtzufinden. Aber sie tun sich schwer, dies aus eigener Kraft zu tun. Auf der Suche nach Hilfe, wenden sich viele Firmen an teure Unternehmensberater.

Aber brauchen sie diese Experten wirklich? Ich glaube nicht. Die meisten Unternehmen verfügen bereits über das nötige Talent, die Ressourcen und das Fachwissen. Zumindest diejenigen, die ich von innen gesehen habe. Was sie brauchen, ist jemand, der sie dabei unterstützt, dieses Potenzial freizusetzen.

Der Facilitator kann dies tun, indem er es Gruppen von Menschen erleichtert, zusammenzuarbeiten und große Herausforderungen zu bewältigen. Deshalb wird Facilitation in den kommenden Jahren zu einer der wichtigsten Fähigkeiten am modernen Arbeitsplatz.

Daniel Wirtz ist Geschäftsführer von Crisp Studio und Experte für das Thema Remote Facilitation. Crisp Studio arbeitet mit Unternehmen wie Mister Spex und Babor, um große Herausforderungen in Produkten, Services und Strategie durch geeignete Innovationsmethoden zu lösen.

 

Beitragsbild: Eine Illustration von Markus Rockstroh 

Autor: Daniel Wirtz, Geschäftsführer von Crisp Studio

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