Ein Beitrag von Dr. Leila Momen zu einem Schwerpunktthema der Fokusgruppe Ethik
Mittlerweile ist insbesondere bei jungen Existenzgründerinnen und -gründern zunehmend eine starke Sinnorientierung zu spüren. Die im Rahmen von Startups verfolgten Geschäftsmodelle haben oft nicht primär den Zweck, Geld zu verdienen, sondern eine moderne und nachhaltige Wirtschaftsweise zu fördern.
Es ist ein neuer Idealismus spürbar, die Welt verbessern zu wollen. Er dient bei der Gründung als Hauptantrieb, ohne dass die Gründer:innen die Notwendigkeit leugnen, profitabel wirtschaften zu müssen, um am Markt bestehen zu können. Eine Reihe von Startups und Mittelständlern, wie Ecosia, Waschbär und Elobau, haben auf der Suche nach einem geeigneten Modell der Unternehmensnachfolge gemeinnützige Stiftungs- bzw. Treuhandlösungen entworfen und umgesetzt.
Diesem Trend stehen aber klassische Venture-Capital-Finanzierungen entgegen, bei denen profitorientierte Kapitalgeber auf einen monetär erfolgreichen Exit hoffen und auch angewiesen sind. Wenn einem Startup dann der große Durchbruch gelingt und ein Börsengang erfolgt, verändert dies regelmäßig den Charakter des Unternehmens auf einschneidende Weise, da jetzt die oft kurzfristigen Interessen anonymer Aktionäre die Marschroute bestimmen.
In diesem Blogbeitrag möchte ich den Gedanken der Purpose Economy vorstellen und Exitstrategien und Entlohnungen bei Startups auf der Gesellschafterebene in ein neues Licht rücken. Dieser Beitrag soll daher ein erster Anstoß zu dieser Diskussion sein.
Zunächst einmal müssen sich Gründerinnen und Gründer über die Zielsetzung ihres Startups klarwerden.
Zwei zentrale Fragen will ich stellen:
Das besondere Augenmerk auf das Thema Exit ist m.E. bei einem „klassischen“ Startup bzw. einem Startup mit klassischer Zielsetzung relevant. In der Regel wird hier Gewinnmaximierung beim Exit angestrebt. Gründer:innen investieren in das Startup (in der Regel eine GmbH) über eine Zwischenholding, um beim Exit mit minimaler Steuerbelastung die Anteile an dem Startup verkaufen zu können. Danach könnten sie ggf. in weitere Projekte reinvestieren. Auch hier stellt sich wieder die Frage, was das vordringliche Ziel der Reinvestition ist: gewinnbringendes Projekt mit dem Ziel der Gewinnmaximierung oder werden andere Ziele verfolgt?
Will das Startup Projekte im sozialen Bereich verwirklichen (Begriffe: Social Startup, Social Entrepreneuership) bzw. Projekte mit gesellschaftlichem Nutzen umsetzen (Begriffe: Impact Startup, Impact Investing), könnte es von vornherein anders strukturiert werden. Allerdings könnte auch eine klassische Struktur mit dem Ziel der Gewinnmaximierung beim Exit genutzt werden, um den Gewinn wiederum in (weitere) gemeinnützige und soziale Projekte zu reinvestieren.
Unter dem Stichwort „Purpose Economy“ wird (auch) in Deutschland zunehmend eine neue sinnorientierte Wirtschaftsweise diskutiert. Diese bestreitet den Vorrang der Profitorientierung für die Anteilseigner (Shareholder Value) und stellt den unternehmerischen Zweck und dessen nachhaltige Verwirklichung in den Mittelpunkt. Daraus entwickelt wurde eine neue Unternehmensform, die jüngst auch im deutschen Rechtsraum vermehrt gefordert wird.
Der Begriff „Verantwortungseigentum“ bezeichnet solche Unternehmen, deren rechtliche Gestaltung eine sinnorientierte und nachhaltige Wirtschaftsweise auf Anteilseigner-Ebene sicherstellt. Sie befinden sich dadurch in Verantwortungseigentum. Ein „Verantwortungseigentümer“ ist damit ein Gesellschafter mit Stimm- und Teilhaberechten, aber ohne Ansprüche auf Gewinnausschüttung und Liquidationserlös.
Der Zweck des Unternehmens ist daher nicht in erster Linie die Vermögensmehrung der Gesellschafter, sondern die Selbstständigkeit des Unternehmens. Dadurch können Waren und Dienstleistungen in nachhaltiger Weise angeboten und gesellschaftliche Verantwortung für Angestellte und Kunden getragen werden – ohne, dass das Credo der Gewinnmaximierung solche langfristigen Pläne durchkreuzt.
Bisher werden ähnliche Ziele im deutschen Recht nur durch komplizierte Rechtskonstruktionen erreicht. Derzeit gibt es in Deutschland z.B. mit Bosch und Carl Zeiss zwei weltweit erfolgreiche Großunternehmen, die seit langer Zeit existieren, durch unterschiedliche Stiftungslösungen von kurzfristigen Profitinteressen von Anlegern entkoppelt und stattdessen strukturell auf eine nachhaltige Entwicklung angelegt sind.
Ende 2019 wurde die Stiftung Verantwortungseigentum in Berlin gegründet, die für eine Verbreitung und Förderung des Modells Verantwortungseigentum sorgen soll. Eine Gruppe von mit dieser Stiftung verbundenen Rechtswissenschaftlern hat dazu bereits einen „Entwurf eines Gesetzes für die Gesellschaft mit beschränkterHaftung in Verantwortungseigentum“ vorgelegt.¹ Dieses sieht die Ergänzung des GmbH-Rechts und die Schaffung einer neuen Rechtsform, nunmehr (nach Änderung) der GmbH mit gebundenem Vermögen (GmbH-gebV) vor.² Mithilfe dieser neuen Rechtsform soll dafür Sorge getragen werden, dass das Vermögen im Unternehmen bleibt und sich Gesellschafter nicht daran bereichern können. Es geht dabei darum, eine nachhaltige Wertschöpfung zu garantieren und die Unabhängigkeit des Unternehmens zu gewährleisten. Durch den sogenannten „Asset-Lock“ verbleibt das Vermögen im Unternehmen und kann so weiterhin zur Erreichung von dessen Zielen und Werten eingesetzt werden. Unternehmer:innen agieren dadurch quasi als Treuhänder. Die Mehrheit der Stimmrechte verbleibt bei denjenigen, die im Sinne der Unternehmenswerte handeln.
Es ist einzuräumen, dass die Vor- und Nachteile der GmbH-gebV in der (wissenschaftlichen) Literatur und auch auf der Ebene der Finanzverwaltung kontrovers diskutiert werden. Jüngst hat der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen ein Gutachten dazu vorgelegt, das auf den 28. September 2022 datiert.³ Der wissenschaftliche Beirat hat verschiedenen Aspekte in Bezug auf die neue Rechtsform beleuchtet (z.B. die Ausschüttungssperre der GmbH-gebV und ihre Auswirkungen, die Finanzierung in Krisenzeiten, Governance-Gesichtspunkte, steuerliche Aspekte, Vergleich mit Stiftungen) und beurteilt die neu angedachte Rechtsform durchweg negativ. Nur ein Mitglied des Beirats teilt die Einschätzung der sonstigen Mitglieder des Beirats nicht und argumentiert positiv für die neue Rechtsform.
M.E. sollten die Argumente der Mehrheit der Beiratsmitglieder und des einen, sich positiv für die Rechtsform äußernden, Beiratsmitglieds sorgfältig gegeneinander abgewogen werden, sodass man sich daraus eine eigene (objektive?) Meinung bilden kann. Mein Anliegen ist es nicht, eine Lanze speziell für die neue Rechtsform zu brechen, sondern die Diskussion dazu, anzustoßen.
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1 Entwurf eines Gesetzes für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung in Verantwortungseigentum, ursprüngliche Version 2020.
²Entwurf eines Gesetzes für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit gebundenem Vermögen, überarbeitete Version 2021.
³Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten 04/2022 vom 29. September 2022, Zum Vorschlag für eine GmbH mit gebundenen Vermögen.
Dr. Leila Momen ist Steuerberaterin und Senior Managerin bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, PricewaterhouseCoopers GmbH. Seit über 25 Jahren berät Leila sowohl große Unternehmen steuerlich vor allem im Transaktionsbereich und seit einigen Jahren auch Startups. Leila ist Autorin vieler Fachbeiträge und Referentin. Sie beschäftigt sich intensiv auch mit Themen wie ESG (Tax) und Sustainable Finance. Im digitalHUB Aachen engagiert sie sich unter anderem als Mitglied in der Fokusgruppe Ethik und der Fokusgruppe Sustainability und Social Entrepreneurship.