Geschäftsmodellinnovation durch Kooperationen

von Dr. Geraldine Schmitz und Tarek Annan

Die Entwicklung im deutschen Software-Markt ist gekennzeichnet durch eine stetig steigende Wettbewerbsintensität und tiefgreifende Strukturveränderungen. Für Software-Unternehmen in dieser Situation stellt sich daher die Frage nach strategischen Verhaltensweisen, um im Wettbewerb zu bestehen und diesen mitzugestalten.

Aktuell bieten viele IT-Unternehmen spezialisierte Fachlösungen an, die einzelne Geschäftsabläufe bedienen. Die Anforderungen an Software steigen jedoch und es werden All-in-One-Angebote gesucht. Um sich dieser diametralen Entwicklung des Marktes anzupassen, gewinnt der Einsatz von Kooperationsstrategien erheblich an Bedeutung. Konkret heißt das, dass IT-Unternehmen ihre Softwarelösungen miteinander vernetzen, um den gestiegenen Bedürfnissen des Marktes nachzukommen.

Der Weg hin zu einer derartigen Geschäftsmodellinnovation ist für ein mittelständisches Softwareunternehmen nicht unbeschwerlich. Es müssen passende Partner gefunden, neue Geschäftsmodelle entwickelt, rechtliche Rahmenbedingungen geklärt, gemeinsame IT-Schnittstellenstandards für ein Ökosystem entwickelt, neue Technologien abgewägt und neben dem Kerngeschäft das strategische Thema der Unternehmenskooperation auch betreut werden.

Grundlagen zu wirtschaftlichen Kooperationen

Die vielen Facetten der kooperativen Geschäftsmodelle werden in der Fachliteratur unter dem Begriff „Coopetition“ gesammelt. Coopetition setzt sich hier aus Cooperation (Kooperation) und Competition (Wettbewerb) zusammen und bezeichnet daher einen Prozess, in dem zwei Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, kooperieren, um Wettbewerbsvorteile gegenüber Dritten zu generieren (1). Wettbewerb und Kooperation müssen sich nicht gegenseitig ausschließen (2), sondern sind vielmehr eine logische Konsequenz aus den sich stetig verändernden Bedingungen in den Wertschöpfungsketten (3).

Durch Globalisierung und Digitalisierung haben sich die Anforderungen der Märkte verändert. Feste Branchen werden von Ecosystemen bzw. durch branchenübergreifende Coopetition abgelöst. Wertschöpfungsketten werden immer komplexer (4), sodass Produkte, Daten und Kompetenzen neu definiert und neu integriert werden müssen. Dies ist oft nur durch Kooperationen möglich. Dabei ist es besonders wichtig, dass Kooperationen effizient zu einem innovativen Geschäftsmodell führen, sodass die teilnehmenden Unternehmen zu Innovatoren werden und somit die Wertschöpfung „lenken“ können. So werden neue Märkte geschaffen, Innovationen vorangetrieben und nachhaltige Win-win-Situationen geschaffen. Ein Schlüsselfaktor dabei ist der innovative Einsatz von Daten, was einer der Gründe dafür ist, dass digitale Geschäftsmodelle sich derzeit durch einen hohen Absatz auszeichnen (5).

Netzwerkanalyse bei kooperationswilligen Unternehmen

Da ein Großteil der Kooperationen bzw. Coopetitions – insbesondere, wenn die Digitalisierung dabei eine Rolle spielt – branchenübergreifend sind, sind Branchenstrukturanalysen nicht mehr hilfreich. Vielmehr bedarf es einer Analyse des Wertenetzwerks (6). Dazu eignet sich beispielsweise das PARTS-Modell aus der Spieltheorie, da es sich hervorragend in Fragen im Sinne eines Handlungsleitfadens umformulieren lässt. PARTS setzt sich zusammen aus Player, Added Value, Rules, Tactics und Scope (7).

Um das Netzwerk, in dem sich das kooperationswillige Unternehmen befindet, zu analysieren, lassen sich aus dem Modell folgende Fragen ableiten:

  • Player: Welche Player profitieren von einer Kooperation? Welche Player generieren in einer Kooperation eine Win-win-Situation und welche könnten eine Win-lose-Situation hervorrufen? Welche Player verlieren bei einer Kooperation?
  • Added Value: Welche Player bringen den meisten Mehrwert? Welchen Mehrwert bringt eine Kooperation mit sich? Wie lässt sich der Mehrwert konstant halten oder gar erhöhen?
  • Rules: Was sind die Regeln der Kooperation? Welche Regeln sind sinnvoll für die Kooperation, welche sind es nicht? Lassen sich Regeln verändern?
  • Tactics: Wie wird das Kooperationskonzept von anderen Playern wahrgenommen? Sind diese Player flexibel in ihrer Wahrnehmung? Wie lässt sich die Wahrnehmung verändern?
  • Scope: In welchem Bezugsrahmen bewegt sich die Kooperation? Welche Grenzen gibt es und unter welchen Bedingungen lassen sich Grenzen ausweiten? Welche Grenzen sollten unbedingt bestehen bleiben?

Kooperation als Risiko?

Kooperationen werden trotz der Vorteile oft als Risiko wahrgenommen: „Coopetition is to create a bigger business pie, while competing to devide it up“(8). Allerdings ist diese Sichtweise verkürzt: Coopetition bedeutet, aus zwei verschiedenen Perspektiven eine Synergie zu schaffen. Es gibt immer die Wettbewerbsperspektive und die Kooperationsperspektive. Wie jeder Dualismus, bildet dies aber nicht die Wirklichkeit ab. Denn zwar ist der Begriff Coopetition relativ neuartig, aber das Kooperieren von Unternehmen, um sich gegen größere Wettbewerber durchzusetzen, ist so alt wie die Wirtschaft selbst (9) und weltweit in den unterschiedlichsten Wirtschaftsformen zu finden (10).

Natürlich hat jede Kooperation ein kompetitives Element, denn der gemeinsam geschaffene Mehrwert muss aufgeteilt werden. Aber es zeichnet sich immer mehr ab, dass Kooperationen wichtiger werden als Wettbewerb, wenn das Ziel des Wirtschaftens eine zufriedene Kundschaft ist (11).

Praxisbeispiel Stellwerk 4 

Ein Beispiel für eine gelungene IT-Kooperation ist Stellwerk 4 – Integrierte Lösung für Prozesse im Facility ManagementDas Kooperationsprodukt Stellwerk 4 bietet eine Lösung, die vielfältige Prozesse im Facility Management in ein gemeinsames Produkt integriert. Das Konsortium ist entstanden als Verbund von vier unabhängigen Software-Unternehmen, die sich auf technischer und unternehmerischer Ebene vernetzt haben. In einer vernetzten Gesamtlösung integriert es ein Dokumenten-Management-System, ein Facility-Management-System, ein Zugangs-System sowie eine Indoor-Navigations-Lösung. Die Zusammenarbeit steht für Konsolidierung, sie überwindet die Heterogenität der zahlreichen IT-Lösungen im Facility-Management-Umfeld. Neue Kunden aus branchenübergreifenden Unternehmen, z.B. im Bereich Immobilienwirtschaft, Industrieunternehmen und auch Ver- und Entsorger werden angesprochen. Die Partner halten industrieerprobte IT-Produkte in folgenden Segmenten vor und leisten durch ihre Einzellösungen einen Beitrag zu der vernetzten Gesamtlösung.  

Aufbau eines Schnittstellen-Ökosystems

Das Thema der kooperativen und innovativen Geschäftsmodelle ist im IT-Mittelstand angekommen und das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) fördert das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum IT-Wirtschaft (KIW), um die Zusammenarbeit des IT-Mittelstandes zu unterstützen und den Aufbau eines Schnittstellen-Ökosystems zu realisieren. Das KIW arbeitet nach der IT-Strategie des „Best of Breed“. Das bedeutet im Bereich der IT-Systeme, dass für jeden Geschäftszweck die am besten passende Softwareunterstützung eingesetzt werden soll. Dementsprechend setzen Best-of-Breed-Strateg:innen auf Modularität und kombinieren die Lösungen verschiedener Hersteller. Aus diesen Speziallösungen – beispielsweise für Rechnungswesen, Warenwirtschaft oder CRM – entsteht durch Integration eine durchgängige, hochflexible Systemlandschaft (14). Anwender:innen von Software ist es somit möglich, aus jedem Anwendungsbereich die beste Unternehmenssoftware zu beziehen und in die eigene IT-Infrastruktur zu integrieren, statt auf einen Hersteller zu setzen.

In allen oben genannten Punkten finden sich am KIW Fachexpert:innen zusammen und bieten IT-Unternehmen in Deutschland Hilfestellung an, um das eigene Geschäftsmodell an die Herausforderungen des Marktes anzupassen. Zusätzlich hat das Kompetenzzentrum die Matching-Plattform IT2match entwickelt auf der IT-Unternehmen neue Partner suchen und finden und schnell vernetzen können.

Grundfunktionen der Matching App IT2match

Über die Autorin und den Autoren:

Dr. Geraldine Schmitz ist Wirtschaftsethnologin und seit März 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin und Verbandsreferentin beim Bundesverband IT-Mittelstand e.V. in Aachen. Sie ist Leiterin des Kooperationsprojekts „Partnership between BITMi and ICT Chamber“ mit Ruanda.

Tarek Annan ist stellvertretender Geschäftsführer am Mittelstand 4.0 – Kompetenzzentrum IT-Wirtschaft und dort seit 2019 für den Aufbau von mittelständischen IT-Konsortien verantwortlich. Durch den Aufbau von unternehmensübergreifenden Kooperationen von IT-Lösungen arbeitet das KIW an der vernetzten Zukunft des IT-Mittelstands.  

Dr. Geraldine Schmitz und Tarek Annan

Quellen:

(1) Nalebuff, B.J. Brandenburger, A.M. 1996. Coopetition. New York: Crown Publishing Group.
(2) Ritala, P. et al. 2014. Coopetition-based business models – The case of Amazon.com. In: Industrial Marketing Management. 43(1). S. 236-249.
(3) Bengtsson, M. Kock, S. 2000. „Coopetition“ in Business Networks – to Cooperate and Compete Simultaneously. In: Industrial Marketing Management. 29(1). S. 441-426.
(4) Bruhn, M., Hadwich, K. 2019. Service Coopetition – Dienstleistungen im Spannungsfeld von Wettbewerb und Kooperation. In: Bruhn, Hadwich (Hrsg.). Kooperative Dienstleistungen. Spanungsfelder zwischen Service Cooperation und Service Coopetition. Wiesbaden: Springer Gabler.
(5) Lusch, R.F., Nambisan, S. 2015. Service Innovation – A service-domimant logic perspective. In: MIS Quarterly, 39(1). S. 155-175.
(6) Lusch. 2015. Ebd.
(7) Bruhn. 2019. Ebd.
(8) Nalebuff. 1996. Ebd.
(9) Della Corte, V. 2018. Innovation through Coopetition: Future Directions and New Challenges. In: Journal of Open Innovation. 47(4). S.1-13.
(10) Luo, Y. 2004. Coopetition in International Business. Oxfordshire: Copenhagen Business School Press. S. 201.
(11) Polanyi, K. 2014. The Great Transformation. Politische und ökonomische Ursprünge von Gesellschaften und Wirtschaftssystemen, aus. D. Engl. V. H. Jelinek. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
(12) Schmitz, G. 2018. Market Money. Handelsstrategien auf dem Tamale Central Market zwischen lokalem Markt und globaler Ökonomie. Berlin: Neofelis.
(13) Bruhn. 2019. Ebd.
(14) Sandra Buschsieweke: IT-Strategie: Best of Breed oder „Alles aus einer Hand“. Bielefeld 2018.

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