Geht es nicht auch ohne persönliche Daten? – Das Konzept der Green Social Cities durch Smartifizierung

„Städte sind nichts anderes als ein Problem organisierter Komplexität“ – Jane Jacobs

Digitalisieren nur um der Technologie und Innovation willen? Beides wichtige Punkte, jedoch sollten technologische Entwicklungen im Dienste des Allgemeinwohls stehen und mit dem Fokus eingesetzt werden, das soziale Leben qualitativ zu verbessern und die Umwelt zu schützen. Dies geschieht durch formale Interventionen, sodass Ordnung in das komplexe soziale Leben gebracht wird.1 Dafür müssen Logistikzentren, Stadtwerke und Stadtplaner:innen dabei unterstützt werden, die sozialen und wirtschaftlichen Interaktionen in einem dichten urbanen Umfeld ausreichend zu verstehen. Dann wird ihre Intervention von den wirklichen Bedürfnissen eines Ortes geleitet. Das geht nur durch die Verfügbarkeit von Echtzeitdaten von eben diesem urbanen Umfeld.

 

Mehr Lebensqualität in Städten mit Echtzeiterfassung

Wenn man an Big Data denkt, wird oft eine flächendeckende Erfassung und eine unerschöpfliche Datenverfügbarkeit angenommen. Leider ist dies ein Mythos! Oftmals sind genau an den notwendigsten Stellen keine Daten verfügbar. Aufgrund der raschen Urbanisierung und dem Bevölkerungswachstum und der Verlagerung der Bürger:innen in „attraktivere“ Städte nimmt das städtische Verkehrsaufkommen zu. Auch bilden sich Massen in Fußgängerzonen, Mülleimer laufen über oder einzelne Stadtbereiche sterben scheinbar grundlos aus. Das erschwert den allgemeinen Stadtbetrieb. Das Unverständnis der Ursachen dieser Phänomene und die beschränkte Betrachtung einer historischen Entwicklung schafft keine Abhilfe. Diese negativen Folgen gestalten das Stadtleben chaotisch und anstrengend und haben signifikante Folgen für Wirtschaft, Umwelt und Gesundheit (Treibhausgas- und Lärmemissionen). Aber was können wir mit Echtzeitdaten aus dem urbanen Raum besser machen? Nur mit Echtzeitdaten kann die Lebensqualität erhöht und eine Emissionsreduktion in den Städten realisiert werden. Eine umfassende, echtzeitfähige Datenerfassung, -verarbeitung und -analyse ist die Grundlage für die Umsetzbarkeit und den technischen Erfolg neuer Mobilitätskonzepte, Dienstleistungen, datenbasierten Stadtentwicklung und einer Echtzeit-Ökobilanzierung.2 Digitale Zwillinge von urbanen Räumen helfen uns weiter, eine Entwicklung vorherzusagen und präventiv Konflikte in diesen Räumen bei der Entstehung zu hindern.

 

Es gibt einige Hindernisse für die Digitalisierung von Infrastrukturen. Aber auch begründet? Im Folgenden nehmen wir Stellung zu einigen berechtigten Kritikpunkten, um das Misstrauen gegenüber der Echtzeiterfassung von Daten aus der Welt schaffen!

Smart City Daten schön und gut, aber muss es immer auf Kosten der Persönlichkeitsgrenzen gehen?

Nein – dennoch müssen Daten im Feld anhand einer echtzeitfähigen Erfassungsinfrastruktur gesammelt werden. Es muss Sensorik ins Feld gebracht werden, die eigenständig Daten erfasst. Durch den Einsatz spezieller Sensorik, die keine persönlichen Daten erfassen kann und der Long Range Wide Area Network (LoRaWAN)- Funktechnik, die es ebenfalls aufgrund der kleinen Datengrößen nicht erlaubt, Rückschlüsse auf Individuen zu ziehen, können wir bedenkenlos Echtzeitdaten generieren. Mittels dieser anonymen Daten lassen sich aus dem Schwarmverhalten aussagekräftige Datensätze ableiten.

Dennoch liegen wir vor allem in Deutschland mit der Entwicklung zu einer Smart City noch weit hinten. Vergebens suchen wir Deutschland in der Top 10 des Smart City Index 2021, obwohl wir das technologische Know-how besitzen. Wir scheitern an der Umsetzung.

Dafür braucht man doch 5G, das ist alles wieder nur Zukunftsmusik!

Da können wir wieder beruhigen. Mit der LoRaWAN kann man schnell sein eigenes, stabiles Funknetz aufbauen und beliebig erweitern. Das machen z.B. schon die Niederlande in ihrer Vorreiterrolle. Ob sich dies in Deutschland als Übergangs- oder Standardtechnologie etabliert, das steht noch zur Diskussion. Fakt ist, dass viele Stadtwerke bereits diese Technologie in Deutschland etablieren und sie auch vom Chaos Computer Club Aachen (CCCAC) unterstützt wird.

Dann ist es bestimmt zu teuer!

Bisher ja. Wir haben jedoch in einem Förderprojekt des BMDV (ehem. BMVi) eine Detektorbox entwickelt, die den Verkehr in Echtzeit erfasst und Fahrzeuge klassifiziert. Dazu nutzen wir kostengünstige, handelsübliche Sensorik. Die Detektorbox wurde modular zu einem universalen Smart City Adapter weiterentwickelt. So können zusätzlich, gleichzeitig Umweltdaten (Temperatur, Luftdruck, Luftfeuchtigkeit, CO2, Feinstaub …) und Passantenflüsse erfasst werden und das mit günstiger, aussagekräftiger Sensorik.

Aber Big-Data-Anwendungen, die verbrauchen doch auch viel zu viel Energie. Das kann doch niemals für mehr Nachhaltigkeit sorgen!

Doch! Das Problem des Energiebedarfs der Erfassung, Übertragung und Verarbeitung von Daten ist der Wissenschaft und der Industrie bewusst. Genau deshalb sind neuartige Hard- und Software verfügbar. Bei 4traffic haben wir unsere Technologie strategisch mit Fokus auf Zeit-, Kosten- und Energieeffizienz gepaart. Wir installieren Low-Energy-Sensorik im Feld, dessen Einsatz mit der ebenso energiesparsamen LoRaWAN-Technik ermöglicht wird. Auch unsere Softwarekommunikation ist auf maximale Effizienz angelegt.

Ja gut, aber die Baustelle vor meiner Tür ist gerade erst fertig geworden, kommt jetzt noch eine?

Auch da können wir die Angst nehmen. Im Sinne der Nachhaltigkeit. Aber auch der Erschwinglichkeit einer Smartifizierung für Städte und Kommunen ist es wichtig, keine Infrastrukturen erneuern zu müssen. Das bestehende kann auch smarter werden, indem die sogenannte Legacy Hardware erweitert wird. Unsere Detektorbox wird einfach an Laternen und Ampeln installiert und schon geht es los. Keine neuen Baustellen, keine Großinvestitionen, aber dennoch Echtzeitdaten, das geht!

Alles klar, weniger Verkehrsstau, Umweltdatenerfassung … das ist ja klar, aber was nehme ich denn genau wahr in meinem Quartier?

Ein besonderer Anwendungsfall für uns ist die präventive Deeskalation, die wir mit einer Gemeinde zusammen entwickelt haben. Diese hatte über die anhaltende Pandemie und auch aktuell einige schwere Vorfälle von Vandalismus in Grünanlagen. Anhand von smarten Laternen ist es uns möglich zu erkennen, wann sich ein eventueller Vandalismusfall zusammenbraut um anschließend die Beleuchtung hochzufahren oder notwendige Stellen zu informieren. Von der wirtschaftlichen Seite ist das eine tolle Anwendung, um wiederkehrende Reparaturausgaben einer Stadt zu verhindert. Als Frau ist mir dieser Anwendungsfall aber auch deshalb wichtig, weil ich in abgelegenen Grünflächen oder Parkanlagen weiß, dass falls ich Hilfe brauche, ich sie auch bekommen kann. Und das mit anonymen Daten!

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für die Digitalisierung in Deutschland zum Zwecke der Stadtplanung und Verbesserung der Lebensqualität keine personifizierten Daten im öffentlichen Raum erfasst werden müssen. Bereits heute ist es möglich zeit-, energie- und kosteneffizient, Echtzeitdaten zu erfassen und für dynamische Modelle einzusetzen. Mittels anonymer Daten kann der Weg zum digitalen Zwillingen eingeleitet werden. Der Grad der Anonymität sinkt erst mit steigenden individuellen Bedürfnissen der Bürger:innen und Konsument:innen, welche in den angebotenen Dienstleistungen berücksichtigt werden sollen

Lasst uns gemeinsam aktiv werden und das Konzept der Green Social Cities durch Smartifizierung mit Leben füllen!

 

Literatur

1Sevtsuk, Andres. „Netzwerke der gebauten Umgebung“. Die Stadt entschlüsseln: Wie Echtzeitdaten den Urbanismus verändern, edited by Dietmar Offenhuber and Carlo Ratti, Berlin, Boston: Birkhäuser, 2013, pp. 148-166.
2Nationale Plattform Zukunft der Mobilität „Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen zur Zukunft der Mobilität“. White Paper der Arbeitsgruppe 6, 2019.

 

Über die Autorin:

Sinem Atilgan ist Wirtschaftsingenieurin (M.Sc. RWTH, Wirtschaftsingenieurwesen Maschinenbau) Co-Founderin und COO von 4traffic. Das Startup schafft über seine Hardwareplattform für diverse Smart-City-Sensorik eine kostengünstige und skalierbare Schnittstelle zu Verkehrsdaten und Umweltdaten. Diese werden mithilfe Open Source Netzwerkübertragungstechnologien an die gewünschte Softwareplattform weitergeleitet und verarbeitet.

 

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